Mars & Venus, Sexuelle Phantasie in Blau

Liebe Freundinnen,

Ihr kennt sicherlich dieses Sonnenbrillen-Phänomen: Kurz, nachdem frau die Gläser aufsetzt, erscheint das Bild wie eingefärbt, nach einer Weile ist die Tönung vergessen und frau findet die Farben, die sie sieht, ganz normal.

Venus und Mars, Botticelli

Botticelli muss gewusst haben, was er damit ausdrücken wollte, als er die Farben so kalt und blass gewählt hat. Vielleicht ist der Mann, der seine Rüstung und Lanze in die Hände der Teufelchen gibt, aber auch nur ein männliches Angst-Thema; eine Entsprechung, „Achill unter Jungfrauen“, hab’ ich in dem für die Männer „reservierten“ Teil der ARS gefunden. OVID bürstet dort die üblichen Rollenklischees ganz ordentlich gegen den Strich und betont, wie die Konventionen unser Denken, unser Vorstellungsvermögen bestimmen.
Mars und Venus hat OVID gleich doppelt „besungen“, in den Metamorphosen und in der „Liebeskunst“ beschreibt er, wie die Beiden, gefangen unter Volkanos Netz, den Blicken und dem Gespött der übrigen Götter ausgesetzt sind. Botticelli setzt sie unseren Blicken und den Neckereien der Satyrn, die er dem Zeitgeist folgend hinzugefügt hat, aus.

„The combination of the phallic lance and shell is a blatant metaphor of the sexual aspects inherent in the painting, and both objects are significantly turned against Mars to enhance Venus’ dominance.“  (Bellingham, David o.J.)

Was soll’s, das Bild ist mehrdeutig. Mars hat seinen kleinen Tod gehabt und Venus ist hellwach, um eine Erfahrung reicher. Amüsiert wirkt sie jedenfalls nicht, aber so unbefleckt wie ihr Kleid, das gegenüber dem ent-rüsteten Mars schon eine passive Bewaffnung darstellt – sie lässt ihn nicht an sich heran und schaut an ihm vorbei, blickt über ihn hinweg. Während die gewöhnlich gewohnheitsmäßig Nackte sonst mit der Linken „schamhaft“ die Scham bedeckt, hat sie diese jetzt frei. Wozu wohl? Wozu ein Zauberstab (?) am Mittelfinger (bei Mars)? Das Bild ist mehrdeutig und falschfarben. Hat Venus ihre Hausaufgaben nicht gemacht?

„Nil nisi lascivi per me discuntur amores:“ „Lockerer Liebesgenuß nur lernt sich durch meine Belehrung“, „mutwillige Liebesspielen der liebenswerten Frau“ und „neckisches Spiel, nicht heroische Tugend gilt es zu lehren“. Die Übersetzer Lindemann, von Albrecht und Gleichen-Rußwurm legen ihre jeweilige Interpretation in den Text, wie die Maler die Venus unterschiedlich darstellen bis hin zur Angleichung an die christliche Maria.
Das ist krass, aber offenkundig: Wer die tote Sprache nicht beherrscht, so wie ich, bekommt es nicht mit dem Originaltext, sondern mit Interpretationen, in die die Phantasien der Übersetzer längst mit eingeflossen sind, zu tun. Eine laszive Venus hat Botticelli allerdings gezeichnet, aber hatte das Wort damals die gleiche Bedeutung wie heute das Fremdwort?
„Haarspaltereien“ werdet Ihr jetzt sagen und würdet vielleicht etwas aus Eurer Liebesspiel-Praxis und von Euren Erfahrungen erzählen, wenn wir nett zusammensäßen und Ihr nicht bloß meinen bescheidenen Text als one-way-communication hättet.

„Nun drücke ich deine Brust an meine Brust, sie zu wärmen, und tue noch viele Dinge, die ein ehrbarer Mund verschweigen muss, die getan zu haben das Herz erfreut, worüber zu sprechen aber eine Schande wäre.“

Das ist ein Zitat aus „Hero an Leander“ (Heroides, XIX, 63 ff.). Eine Art Briefroman, auch von OVID; die Stelle belegt immerhin, dass es seit eh und je nicht als fein und schicklich gilt, in die Details zu gehen – und: „Weh mir Armen! Das dauert nicht lange und ist keine wahre Lust, denn mit dem Schlafe pflegst du selbst zu entschwinden.“ Die ganze Zärtlichkeit der Liebenden, die vom Geliebten durch ein stürmisches Meer getrennt ist ein Traumbild, ein einziger, großer Wunsch.

Ich musste jetzt einfach das Beispiel irgend einer anderen Figur einschieben, weil mir dieser Venus-Kult auf den Geist geht. Da wird „Weiblichkeit“ in einer Weise dargestellt, die mit meiner Wirklichkeit nur peripher zu tun hat, und doch ist diese Gestalt omnipotent, erdrückend – ich würde sie nicht zur Freundin haben wollen. Heros Brief ist Phantasie in der Fiktion, real „nur“ als Literatur, und deshalb auch so schamhaft-„schicklich“.
Aber was machen diese Figuren mit uns, was machen wir mit ihnen, wenn wir uns mit ihnen identifizieren oder sie hinterfragen, was machen wir dabei mit uns? Diese Darstellungen sind aus einer männlichen Perspektive entstanden, in der die Weiblichkeit nur als Projektion männlicher Wünsche erscheint, noch in der verqueren Darstellung des männlichen Verhaltensrepertoires. Die Rolle, die uns dabei zufällt, haben nicht wir selbst geschrieben, sie ist Abfallprodukt und unerreichbares, erdrückendes Ideal. Es ist nicht unsere Phantasie, den Mann mit vier Teufelchen gleichzeitig zu quälen, aber ein männliches Eingeständnis, dass er das für möglich hält und vielleicht sogar wünscht.
Triebhaftigkeit, Desorientierung, wenig Rücksicht auf die Frau, Einflüsterungen und gefräßige Gier besiegen den Mann – kein Wunder, dass Venus etwas melancholisch aus der Wäsche schaut, bei diesem asynchronen „Liebesspiel“. Die sexuelle Erregung des Mars ist hier unter dem Nullpunkt, die der Venus vielleicht auf der zweiten von zehn Stufen. Wenn das Dominanz sein soll, kann ich auf Dominanz verzichten. Jedenfalls immer öfter.

Ich würde mich auf diese Szene nur in definierten Ausnahmefällen einlassen. Die „keusche“ Venus partizipiert nur wenig an seiner Lust, ist involviert und hält sich reserviert, was ja insofern ein Kompromiss ist, als sie vermutlich ihrem Volkanos die Treue versprochen hat, und Frau fühlt sich ihren Versprechen verpflichtet, sei das sinnvoll oder nicht.
Die späte Venus vermeidet die Schmach, gemeinsam mit ihrem Liebhaber gefesselt, dem Spott der Götter, die sich allzu gern über allzu menschliches amüsieren, ausgesetzt zu sein. Einen Teil ihrer Sprödigkeit tauscht sie ein gegen ein gewisses voyeuristisches Vergnügen, die Bestätigung ihrer göttlichen, unerreichbaren Reize, ein gewisses Gefühl der Dominanz und – last not least – ein irgendwie kindliches Vergnügen am Spiel, am experimentieren, am unterhaltsamen Beisammensein. Sie hat den Spieß umgedreht, denn Trübsal ist ihr Ding jedenfalls nicht, und so kann ich mich doch wieder mit ihr vertöchtern. Und sicher gibt es auch noch explizites Material, um das Wesen der Venus zu illustrieren.

Weiterlesen:

Venus & Mars, Olympische Schamgefühle, Schamlosigkeiten

— Hinweis:  —

Zur Übersicht: Die Liebeskunst für Frauen nach OVID in der Interpretation von Leilah

Ein Kommentar zu “Mars & Venus, Sexuelle Phantasie in Blau

  1. Pingback: Ich, als schwarze Romantikerin | Feine Erotik

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

*


*

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <strike> <strong>