Corinna, der Autor und Isis

Liebe Freundinnen,

ich bin keine Dozentin, ich recherchiere. Zum Beispiel über “das Matriarchat” – wenn es das denn gegeben hat. Wir stellen uns den Olymp immer als von Gottvater Zeus beherrscht vor, und Hera mehr als eine Randfigur – das ist aber so eine Sicht, die uns eingepflanzt worden ist, weil unser Herrgott, nomen est omen, offenbar männlich ist. Vor diesem Monotheismus – “Du sollst keine anderen Götter haben neben mir” – hat es für jedes Problem,  jede Lebenssituation, eine spezielle Gottheit gegeben, eine praktische Arbeitsteilung.
Die Macht des Weiblichen wurde von Isis repräsentiert, und auch unser OVID, dessen “Liebeskunst für Frauen” ich noch zu bearbeiten habe, hat ihr gehuldigt, und  diese Huldigung ist überliefert, im 2. Buch der Liebeselegien, 13. Elegie.

Ich denke, Frau darf, auch wenn sie mit dem einen Text befasst ist, aus einem anderen schöpfen: Würde OVID heute schreiben, wären seine Texte mit Hyperlinks gespickt; damals musste man sich die denken, die Stellen und Zusammenhänge kennen, auf die er anspielte. Ich bin ja Novizin auf dem Gebiet, kann aber, was damals niemand konnte: Googeln. So, und nicht wegen meiner profunden Literaturkenntnisse, habe ich diese Stelle gefunden.

Corinna, die Freundin des in der Ich-Form berichtenden Dichters, hat

“unbedacht an der Last ihres trächtigen Leisbes gerüttelt …, und ob sie leben wird, ist zweifelhaft. Sie hat ohne mein Wissen ein so gefährliches Wagnis unternommen, meinen Zorn verdient sie, aber Zorn schwindet vor der Furcht.”

Corinna hat also abgetrieben, oder es versucht, und schwebt in Lebensgefahr. Der typische Mann fragt sich sogleich, ob das Kind denn auch von ihm gezeugt worden ist, will es glauben, und hat wegen dem ungewollten, “unabgesprochenen” Kind auch so seine Schuldgefühle: “Und dabei empfing sie von mir, oder ich glaube es wenigstens; oft nehme ich als Tatsache, was sein kann.”

Auch diese Situation ist eine Facette des Liebeslebens, wenn auch nicht erotisch im Wortsinne. Aber wir sehen hier sehr schön, wie der Mann denkt, und vor allem, wie und wen er um Hilfe bittet (denn hilflos ist er in dieser Situation, und sein Wunsch, der Freundin zu helfen, mag authentisch sein):

“Isis, Herrin über Paraitonion und die üppigen Flure Kanopos,
über Memphis und Pharos, das an Palmen reich ist,
und über die Gefilde, die der schnelle Nil im breiten Bette durchgleitet,
bis er sich durch sieben Öffnungen in den Fluren des Meeres verliert,
Bei deinen Klappern bitte ich und bei des furchtbaren Anubis Gesicht
(möge der fromme Osiris deinem Kult immer huldreich zugetan sein,
und möge in langsamen Windungen die Schlange um deinen Gabentisch gleiten, und als Begleiter im Zuge der gehlörnte Apis schreiten):”

Das eigentliche Gebet kommt gleich. Bisher ist nur klar, an wen die Rede sich richtet, und dass unser Dichter sich auskennt mit Isis – im Gegensatz zu mir.

Kleopatra VII - Foto cc Wikipedia

“Paraitonion” – habe ich nie gehört. Aber die Mutter der Iphis – klingt doch ganz wie Isis – hat in den “Metamorphosen” ebenfalls die Isis als Herrin über Paraitonion angeredet. Und Iphis wurde von Isis im “zarten” Alter von 13 Jahren von einem Mädchen in einen jungen Mann verwandelt. Iphis liebte ein Mädchen, und nach der Verwandlung war es keine lesbische Liebe mehr.
So weit ist die Ovid-Forschung noch nicht, dass sie uns erklärte, warum OVID Isis mit Paraitonion verbindet – diese ägyptische Hafenstadt als von der Isis beherrschter Ort: Was hat OVID sich dabei gedacht?
Eine – für Ägypten – traurige Berühmtheit erlangte Paraitonion 30 vor Christus, als die Truppen Octavians die westliche Grenzfestung Ägyptens und den östlichen Grenzposten Pelusion eroberten. Das war der Anfang vom Ende der Herrschaft Kleopatras, auf der die Hoffnungen der Menschen des Orients, die sich von Rom unterdrückt fühlten,  beruhten. OVID aber war, wenn nicht Kosmopolit, dann Römer, und schwerlich ein Fan der Kleopatra.
Kanopos wiederum ist ein altägyptischer Kultort am Nil, berühmt durch den Orakeltempel des Gottes Kanopos, später Serapis, der hier in Gemeinschaft mit Isis, Anubis und Harpokrates verehrt wurde.
Das Kanopos-Dekret sollte noch erwähnt werden: in dem Dokument einer im Jahre 238 v. Chr. abgehaltenen ptolemäischen Priestersynode geht es um die 365 Tage des Jahres und den vier-jährlichen Schalttag, den aber dann erst die Römer einführten.

Ramses II, Foto cc From Wikimedia Commons

In Memphis muss es einen wichtigen Isis-Tempel gegeben haben, von dem aber kein Foto zu finden ist; eine überdimensionale Statue von Ramses gibt es dort noch heute -  sieht auch ganz gut aus.

Foto cc Wikipedia

“Pharos, das an Palmen reich ist” – sollten wir das kennen? In der Vergangenheit war es bekannt, berühmt, für das höchste Bauwerk der Antike, einen Leuchtturm, aber nicht für seine Palmen.

Wahrscheinlich sind die fehlerhaften, zumindest fraglichen, räumlichen Zuordnungen Absicht – aber welche Absicht steckt dahinter? “Du musst nicht alles glauben, was Dir über die Götter erzählt wird – das Meiste ist erdichtet. Wenn Du aber an Isis glaubst, dann ist sie überall, gerade auch bei Dir” – so ungefähr könnte dieser Passus zu deuten sein.

Oder auch:

“Krieg, Mathematik, Technik verändern unsere Gesellschaft rapide – hier gibt es einen Fortschritt, und eine Evolution in der Religion ist unumgänglich, wenn es sich erst einmal herumspricht, dass der ganze Olymp erfunden ist. Der Gedanke an die Menschenrechte ist erst ein ganz zartes Pflänzchen. Eine Theologie der Erlösung wäre für den Übergang vielleicht ganz praktisch. Und so eine “Muttergottheit” brauchen wir allein schon wegen der Frauen, ich seh’ es ja bei Corinna”.

Corinna, und nicht Isis, ist OVIDs Herrin – ich habe hier etwas vorgegriffen. Und: “Den römischen Dichtern galt sie als Muster gelehrter und gleichzeitig schlichter Poesie (Properz II 3, 21). P. Ovidius Naso benannte ihr zu Ehren die zentrale Figur seiner Amores daher Corinna.”
Das steht in unserem kolletiven Wörtbuch unter dem Stichwort Korinna. Die “… war eine antike griechische Dichterin. Sie gilt manchen Kritikern als bedeutendste nach Sappho.”

Das obige “oft nehme ich als Tatsache, was sein kann” bekommt so doch noch eine erweiterte Bedeutung. Aber das ist menschlich. Darauf beruht vielleicht auch die Kraft des Gebets, das wir hier eigentlich lesen wollten, und die Macht der “Rasseln”, die im Isiskult verwendet werden. Doch dazu mehr im nächsten Artikel.

 

 

— Hinweis: —

Zur Übersicht: Die Liebeskunst für Frauen nach OVID in der Interpretation von Leilah

 

 

 

 

Weitere:

http://www.gottwein.de/Lat/ov/ovmet09666.php

http://www.swr.de/-/id=11425344/property=download/nid=660374/1ijocdq/swr2-wissen-20130723.pdf

http://isiopolis.com/2012/07/28/iphis-ianthe-and-isis-the-lgbt-friendly-goddess/

 

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