Erotische Phantasie – die Mutter der Philosophie

Liebe Freundinnen,

leise Liebesbitten, „… Erklärungen der innigsten Liebe, die ihr erster Anblick ihm eingeflößt, und wie er seit jenem Augenblick nur an sie gedacht, nur sie gesehen; wie der Gedanke an sie sein Leitstern durchs Leben geworden sey, …“ – wäre das nicht einmal Thema für ein feministisches Seminar? „… jedes Wort, das Georg sprach, fand einen mit demselben im vollkommendsten Einklange stehenden Widerhall in ihrem Herzen, war wie abgelauscht ihrem eigenen Empfinden. Was sie gedacht, erträumt, ersehnt, und als unerreichbar wieder verworfen, trat plötzlich zur unabläugbaren Wahrheit geworden in ihr Leben ein.“
Träume, und auch Dichtung, können manchmal als Wunscherfüllung gedeutet werden, die Dichtung lässt sich gezielter formen, und diese hier ist einmal ein Bestseller gewesen, und weil es so schön ist, hier noch ein paar Sätze:
„Jeder Triumph, den weibliche Eitelkeit nur verlangen kann, alle Huldigungen, nach welchen schöne Frauen oft mit Aufopferung ringen, über deren Größe sie erschrecken würden, wenn sie sich Zeit nähmen, darüber nachzudenken, waren … und wurden noch immer, wohin sie auch ihre Schritte wenden mochte, ihr dargebracht.“

Ich finde, das ist ein starker Beweis für die Kraft, die Frauenliteratur haben kann. Johanna Schopenhauer (S. 327 f.) schreibt sogar von einem Throne, auf den die allgemeine Bewunderung die Heldin erhoben hatte, und „wo sie sich zeigte, hatte ihre Erscheinung laute Bewunderung, stille Anbetung, neben dem wildesten Wahnsinn unbezwinglicher Leidenschaften erregt; aber liebend geliebt zu seyn …“
Im feministischen Seminar könnte dann eine Arbeitsgruppe ausarbeiten, wie die Geschichte weitergeht, eine andere, was es heute bedeutet, liebend geliebt zu seyn, eine dritte die Verleugnungen und Verdrängungen, die hier vorliegen, herausarbeiten. Die Regentin, die Frau auf dem Thron, die „Königin“ – es gibt dieses Urbild, und es erregt auch das weibliche Interesse, wenn es auch wenig alltagstauglich ist und nichts zum alltäglichen, praktischen Genuss der Liebe beiträgt. Arthur Schopenhauer, der Sohn der Witwe, hatte ja bekanntlich ein merkwürdiges Frauenbild und vermutlich die Vorstellung, dass die ideale Frau recht hohe Ansprüche stellt. Gruppe vier erarbeitet also das Frauenbild des Arthur, und Gruppe fünf das Männerbild der Johanna. Literaturliste folgt.
Arthur mit seinem zumindest phasenweise asketischen Lebensstil wird den Platon nicht zufällig verschlungen haben, und Platon hatte eine Liebes-Geheimlehre entwickelt (vgl. von Albrecht 1979, Sxxx)., von der sich nicht sagen lässt, inwieweit sie den Namen „platonisch“ verdient hat.
Ich könnte mir jedenfalls vorstellen, dass Arthur, als er den Platon gelesen hat, in einer sensiblen Phase gewesen ist und dabei unauslöschlich geprägt worden ist. Das eigentlich Problem: Platon definiert den Gott der Liebe als Nicht-Gott, als Dämon, unterschlägt die Verbindung des Gottes mit Psyche und  verleugnet die Wollust, obwohl oder weil er selbst ein Lüstling und Verehrer der Knaben ist. Philosphisch-rhetorisch geschickt entwickelt er einen Text, bei dem ich ganz schnell abschalte, der aber für junge Leute, in einer Zeit ohne Unterhaltungsindustrie, interessant gewesen sein wird, aber ihnen nur den Kopf verwirren, genauer gesagt, verdrehen musste. Platon war der Verführer, als der OVID von den Altpäderasten gescholten wird.
Eine gewisse „Diotima“, so sagt Platon in einem Symposium, hätte ihn über Eros unterrichtet., von dem sie voraussetzt, „…daß er aus Bedürfnis nach dem Schönen und Guten eben das begehre, dessen er bedürftig ist [?]“.  Wer aber Bedürfnisse habe, sei nicht im göttlichen Zustand der Glückseligkeit und somit kein Gott, sondern ein Dämon. Schließlich „… geht denn, alles zusammengenommen, die Liebe darauf, daß man selbst das Gute immer haben will.“ Und das Schöne will ja auch die Frau, was den alten Platon aber nicht geschert hat: Liebe und Besitzstreben gehen zusammen.

Und alle wollen unsterblich werden – die einen, indem sie in ihren Kindern fortleben, die anderen, indem sie andere Seelen mit ihre Ideen befruchten wollen. Bei uns Frauen ist der Wunsch, andere zu befruchten, naturgemäß weniger stark ausgeprägt, aber wir können immerhin unsere eigenen Ideen austragen, ein Buch („mein Kind“) schreiben oder ein Blog führen. Den zeugungswütigen Männern ist es eher mal egal, was aus ihren Kindern wird, den meisten Frauen nicht, und so schreiben sie bisher auch weniger Bücher als Männer.

Diotimas Argumentation hakt übrigens an allen Ecken und Enden. Bei OVID jedenfalls sind die Götter recht liebesbedürftig und eigentlich nicht immun gegen Amors Pfeile. Sicher, eine Liebeserklärung, in der die Begehrte zum Leitstern erklärt wird, bringt ein Jupiter nicht zustande, aber leise Andeutungen. Ob seine Gattin sein Leitstern ist? Männer sind orientierungslos: Ob sie nun „das Schöne und Gute“ oder ihre Auserwählte zum Leitstern machen – ohne so einen Fixpunkt geht es nicht. Notfalls nehmen sie Karriere und soziale Geltung und brechen zusammen, wenn die eine oder andere Krücke wegbricht. Zur Partnerschaft und Liebeskunst gehört für uns Frauen auch die Fähigkeit, ihm en Fixpunkt zu sein, ihm zu zeigen, wo es lang geht. Der Mann als Leitstern, das kann nicht gut gehen, weil Männer zu beeinflussbar sind und permanent zeugungswütig, platonisch oder sinnlich.
Vom Wunsch nach Glückseligkeit hat die moderne Frau sich emanzipiert, vom Wunsch nach Erfolg und Anerkennung nicht. „Carmen … ist groß, schlank, hat lange Beine und langes, rötliches Haar – mit ihren 35 Jahren ist sie der Prototyp einer selbstbewussten, selbständigen Frau. Sie fährt einen schnellen BMW mit Lederausstattung und Klimaanlage, hat ihr eigenes, kleines Versicherungsbüro und ihre 100-Quadratmeter-Altbauwohnung mit Parkettboden. Sie fliegt zweimal im Jahr in Urlaub, ist eine gute Sportlerin … .“ (Hauptmann 1995, S. 6)

Diese „fetzige und frivole Frauenkomödie“ soll ja auch eine erotische Phantasie darstellen, spielt auch zu 99 Prozent im „platonischen Bereich“, jedenfalls gänzlich ohne GV. Dieser Fall von gefakter Impotenz ist gegenüber der Masse an faktischer, „mangelnder Gliedsteife“ allerdings die Ausnahme, und ihm wieder auf die Sprünge zu helfen, wär’ eigentlich ihre Aufgabe. Von diesem Tabuthema  wollten wir aber lieber die Finger lassen. Wir können ja im Falle der weiblichen Unterkühlung behaupten, unpässlich zu sein, Kopfschmerzen zu haben oder ihm einfach etwas vorspielen, oder ihm den schwarzen Peter zuspielen: „Eigentlich hatte ich mir ja ein bisschen mehr erhofft“. Das dämpft seine Lust auf mehr garantiert, hat aber rein gar nichts mit wirklicher Liebeskunst zu tun.
Das Gefühl, zusammenzugehören, entsteht und vergeht. Wie und warum, ist eine Wissenschaft für sich. Hat Frau es nicht, fehlt ihr etwas, hat sie es, gibt es immer etwas, das sie an ihm stört. Die meisten Männer sind mutterfixiert, Fremdgänger, Langeweiler. Die intelligenten sind dickbäuchig, vergeben oder beides. Oder notorische Einzelgänger.   Komisch: Bei solchen Gedanken vergeht mir jede erotische Phantasie, und Sex wird mir gleichgültig. Die Liebeskunst kann mir aus dieser Stimmung auch nicht heraushelfen, das ist doch Stoff für Teenies.

Jede Lust ist ein Gut, aber nicht jede ist wählenswert.
Epikur

Haben wir denn überhaupt eine Wahlmöglichkeit?

Fortsetzung:

http://gucknet.de/ovid/mein-erotischer-geheimtipp

— Hinweis: —

Zur Übersicht: Die Liebeskunst für Frauen nach OVID in der Interpretation von Leilah

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