Frau-Sein – Eileithyia, Isis, Geburtswehen

Liebe Freundinnen,

ist es nicht so, dass wir Frauen uns durch unsere Fähigkeit, zu gebären, definieren? Ich meine, wenn es auch Frauen gibt, bei denen sich der Kinderwunsch nicht erfüllt, oder nur schwach entwickelt – wenn das Wort  “Bestimmung” auch nicht so ganz passt – sind wir nicht erst als Mutter eine vollständige Frau?

So eine Frage ist natürlich typisch menschlich, in der gesamten Natur vermehren Männleins und Weibleins sich, ohne darüber nachzudenken, ohne Bedenken, ohne Geburtshelferinnen; aber bei uns Menschen müssen auch die Männchen den Wunsch entwickeln, zu gebären, jedenfalls hat der griechische Obergott Zeus das fertiggebracht, natürlich als Kopfgeburt, letztlich aus einem Neid heraus, wie selbst die Wissenschaft meint: Gebärneid heißt der Begriff, wenn ich auch nicht der Meinung bin, wir wären zu beneiden.

“Lenis ades precibusque meis fave, Illithyia” oder auch “gütig sei zur Stelle und sei meinen Bitten günstig, Eileithyia!” – das ist wieder so eine OVID-Zeile, die mich ins Grübeln gebracht hat, denn: “Wer ist Eileithyia?”

Auf unserem Bild ist sie am rechten Rand. Zeus links, und aus seinem Kopf kommt gerade Athene, deren Namen wir heute noch in “Athen” wiederfinden. Ist es nicht bezeichnend, dass für Weisheit, Strategie,  Kampf, Kunst, Handwerk und Handarbeit eine weibliche Göttin zuständig ist? Eileithyia ist hier, wie gesagt, Geburtshelferin, und die Worte “Lenis ades precibusque meis fave, Illithyia” verwendet OVID, um Isis anzurufen.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Dichter hier die Mythen versehentlich vermischt hat, eher können wir davon ausgehen, dass Isis und Eileithyia die gleiche Funktion, aber unterschiedliche Namen haben.
Das erklärt sich dadurch, dass es Archetypen gibt, hier die Urfigur für Weiblichkeit, quasi eine einheitliche Statue, die in den verschiedenen Regionen (Religionen)  der Welt nur unterschiedlich angemalt sind. Bei C.G. Jung heißt das dann “Urmutter”, und bei Wikipedia wird von “… psychische(n) Strukturdominanten, die als unbewusste Wirkfaktoren das Bewusstsein beeinflussen und dieses z. B. präfigurieren und strukturieren …” gesprochen.

Ich denke mal, dass des Teufels Großmutter nur in unserem Hirn vorkommt, weil wir mal ein Märchen gehört haben, in dem sie vorkommt und wir die Begriffe für links, rechts, oben und unten, Tag und Nacht, Mann und Frau haben, weil wir zwei Hände haben, Kopf und Füße und so weiter.

Auch die Geburtshelferin ist ein Archetyp, wie die Amme, die Gouvernante, die Amazone, die Königin, die Göttin – und in dieser weiblichen Reihe ist Isis in der Hierarchie an höchster Stelle. Abgesehen von der Amme gibt es diese Reihe auch mit männlichen Vorzeichen, also Arzt, Dom, Krieger, König und Gott – wobei unsere Männer höchstens zum Halbgott taugen,  oder das jedenfalls öfters gerne würden.
Das Kind ist von der Empfängnis an von Frauen abhängig, dadurch ist die Bindung an die weiblichen Bezugspersonen größer; darin liegt die Wurzel der weiblichen Überlegenheit.

Als Sport- und Laufcoach genieße ich insgeheim diese Überlegenheit, meinem Macker gegenüber gebe ich mich partnerschaftlich – ich kenne ihn ja besser als er sich und gebe ihm auch mal, was er braucht, wenn ich mich ganz passiv gebe und ihm gestatte, zu zeigen, was für tolle Knoten er beherrscht. Wenn er es nicht verträgt, seine tatsächliche Abhängigkeit zu erleben, muss Frau ihm halt den Rücken stärken:

The goal is to identify which archetypes reflect both you and your significant other’s needs, and come to a compromise so that both parties are satisfied and fulfilled.”

Die Idylle von “Mama, Papa, (Kind)” ist vielleicht ein etwas modernerer Archetypus für Familie – das mal am Rande und probehalber. Waren die Frauen hier nur im Hintergrund aufgestellt, so war Janis Joplin eher der göttliche Typus. Leider hatte der Gott des Rausches sie in seinen Bann gezogen. Ihr findet vielleicht andere Figuren aus unserer Zeit urtümlich-archetypisch.

Kommen wir zu ernsteren Dingen, der Fortsetzung des Gebets an Iris:

hierher wende deine Blicke und mit einer schone zwei;
denn der Herrin wirst Du das Leben geben, sie mir.
Oft hat sie an bestimmten Tagen dir dienend in deinem Tempel gesessen,
wo die Schar der Galli deinen Lorbeer blutig färbt.
Du erbarmst dich der Mädchen, die von Geburtswehen gequält sind,
deren schwerfälligen Leib die verborgene Last spannt;
gütig sei zur Stelle und sei meinen Bitten günstig, Eileithyia!

Unter dem Sessel des gebärenden Zeus wirkt eine, wie Isis,  geflügelte Göttin, man weiß nicht, welche Göttin; ich würde sagen, es handelt sich um ein Engelchen. Bei der Geburt herrscht ein kompliziertes Zusammenspiel mehrer Helferinnen, Kräfte, seelischer Energie, Instanzen – aber gerade dazu ist es bei Corinna nicht gekommen, deshalb diese Anrufung der Isis, die wir untersuchen, um mehr über den Isis-Kult zu erfahren.

Der Sinn des Gebets erschießt sich übrigens erst, wenn wir uns vorstellen, dass der Dichter es so vorträgt, dass Corinna genau hört, was er sagt. Sein Vortrag gilt primär der Geliebten, ihr will er vermitteln, dass er sich bei der Göttin für sie einsetzt, und wie er zu ihr steht. Damit mag das Gesagte auch eine therapeutische Wirkung bekommen, wenn er ihr seine Liebe versichert: Die Göttin um Zuwendung bittend, der Geliebten versichernd, dass sein Leben von ihr abhängt, dass sie seine Herrin ist, verbreitet er Zuversicht und erinnert an Corinnas Glauben an die Göttin der Weiblichkeit, baut eine Stimmung des Vertrauens auf.

Er erinnert die Göttin daran, dass Corinna doch regelmäßig an Göttinnen-Diensten teilgenommen oder mitgewirkt hat, in denen es durchaus auch blutig zugegangen ist.

Die Galli, Priester der Kybele, wieder so eine Göttin der Weiblichkeit im alten Rom, waren Kastraten oder Eunuchen, die sich im kolletktiven Rausch selbst entmannt hatten – wir können uns denken, dass der Dichter der Liebe diesen Kult verabscheut hat.
Dieser Kult ist vielleicht wie der Rückschlag eines Pendels von der “Phallokratie” herüber zu einer extremen Form der Kontrolle des Phallus zu verstehen; den Phallozentrismus kennen wir ja – in der einen oder anderen Form – immer noch, wie auch seine Verleugnung, die männliche Keuschheit in Zölibat und bizarren Lebensformen.
“Phallischen Narzissmus” nennt es die Psychologie, wenn die Kerle aus lauter Stolz auf ihre Erektion diese doch vorübergehende Fähigkeit überschätzen und sich schlimmer gebärden als der radschlagende Pfau.
Aber Männer und auch Frauen sind nicht immer glücklich mit ihrem Geschlecht, manchmal kommt es zur Geschlechtsumwandlung, einer “neuen Identität”, obwohl ein Rollentausch oder die Veränderung der sozialen Rolle auch ohne Körpermodifikation möglich wäre.
Keine “Verwandlung” kann bisher Gebär- oder Zeugungsfähigkeit herstellen, womit die Verwandelten mehr Neutrum als Frau oder Mann sind.

Die Bitte, sich zu erbarmen, die Bitte um Mitleid oder Mitgefühl verdeutlicht noch einmal das Machtgefälle zwischen Bittsteller und Göttin – das ist im Monotheismus mit seinem allmächtigen Gott noch größer. Als hätte der Mensch keinen Funken Göttlichkeit in sich.

Die Situation ist – wir wissen ja, dass OVID mit Corinna nicht zusammengelebt hat – rein fiktiv, aber prototypisch, wenn es auch Liebhaber geben mag, die sich um eine Abtreibung und ihre Folgen keine Gedanken gemacht haben. Solche Gedankenlosigkeit, Leichtsinnigkeit ist aber an kein Geschlecht gebunden, kommt vor.
Ansonsten stelle ich mir vor, dass das Wissen über Empfängnis und -Verhütung zumindest im Tempel der Isis – wie auch hier im Gedicht, das auch den Zweck haben mag, die unseligen Zustände im alten Rom azuprangern und zu verändern – thematisiert worden ist.

Ihr könnt diese Geschichte selbst interpretieren, wie Ihr wollt. Ich schließe mich für heute dem Gedanken von  Gildenhard und Cissos an:

an episode can be laced with programmatic, intertextual, or generic gestures and still offer a meditation on human experience

Unsere Ideen, was und wie wir denken, steht eben immer im Zusammenhang mit dem, was wir an Ideen aufnehmen.

´

— Hinweis: —

Zur Übersicht: Die Liebeskunst für Frauen nach OVID in der Interpretation von Leilah

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