Schreiben für die Muse, als Verführung?

Liebe Freundinnen,

Mit „Belehrungen von einem Mann annehmen“ hab’ ich ihm Unrecht getan: Allerdings wird  OVID vorwiegend von Lehrern, „Studienräten“ vermittelt, die meist noch Religion und Geographie unterrichten und die Welt mit dem Finger auf der Landkarte erkunden. So ein Exemplar hab’ ich kennengelernt, das im Internet seine Begründung veröffentlicht,  warum er OVID vom Stundenplan gestrichen hat: „Das geht ja nicht, dass ich den Schülern noch den Eindruck vermitteln soll, jede Frau sei zu haben, jede könnte erobert werden.“ Das war wohl eine tragische Figur, wie wir sie im Professor (Un-) Rat gesehen haben – aber keinesfalls Jeder konnte den blauen Engel erobern, wie auch sie nicht jeden um den Finger wickeln konnte.

Der OVID-Verächter ist wahrscheinlich pädophil veranlagt und befürchtet, dass ihm seine Phantasien über den Kopf wachsen könnten, und will nicht, dass die Kids sich auf die Frauen freuen.

Römerin beim schreiben und sinnierenAußerdem wäre der Dichter nichts ohne die Muse, ohne Inspiration, was er ja selbst oft genug betont. Seine Inspiration bekommt er sogar schriftlich, und hat, wie wir am verträumten Gesichtsausdruck der Schreiberin ablesen können, viel mit ihren Phantasien, Wünschen zu tun. Der schriftstellerische Prozess hat dann etwas von Arbeitsteilung, und sie freut sich, wenn sie besungen wird, oder irgendwie im Opus einen Auftritt hat.

Damit ist auch geklärt, dass OVID für die gebildeten Frauen und Männer geschrieben hat, die lesen und schreiben konnten, die „Kulturtechniken“ beherrschen – Frau macht sich ja gar nicht mehr klar, welches Privileg das eigentlich ist, und leider, leider machen allzu viele keinen Gebrauch davon.

„Ein besinnlicher Moment. Es geht … um … die Überlegung “was schreibe ich dir – über mich, und dich, mithin meine/unsere Beziehungen?” So ein Schreiben ist nichts für die Ewigkeit – das hat es mit jeder privaten Unterhaltung gemein. Aber es ermöglicht, einen Gedanken zu fassen, zu übermitteln, und eine Reaktion zu bewirken.

Formal ausgedrückt, geht es um einen Dialog, der mit Hilfe der Kulturtechnik “Schreiben” geführt wird. Wenn wir diese Kulturtechnik auch nur einigermaßen beherrschen, sollten wir sie auch in unserem Sinne anwenden.“ (Baumgardt 2002, web)

„Was willst Du von mir, und was bietest Du mir?“ würde ich noch ergänzen, und ihn möglichst dazu bringen, dass er sich mir erklärt, wenn ich etwas von ihm will, was ja vorkommen kann: Viel Bestätigung, nach Möglichkeit, und bitte mit Sahne. Von Manchen will ich gar nichts, zeige mich aber verständnisvoll, wenn es amüsant ist.

So ein erotisierender Briefwechsel lebt von der Verschlüsselung, von Doppeldeutigkeiten, Möglichkeiten – und von der Distanz. Wenn Frau ungeduldig wird beim Warten auf seine Antwort, ist das natürlich gefährlicher, als wenn er sich in seine Briefpartnerin verliebt und nicht weiß, wie ihm geschieht.

Pegasus und MuseDem einen oder anderen gönne ich jedenfalls das Gefühl, seine Muse gefunden zu haben. „Zärtliche Verse“ zu schreiben, hat OVID ja den Männern vorgeschrieben – nicht aber den Frauen, die Männer zu besingen. Natürlich ist Frau auch als Muse aktiv, wie wir an diesem Bild: „Pegasus und Muse“ von Grasset sehen: Immerhin haben die Musen Pegasus eingefangen. Im geflügelten Pferd seh’ ich die Gedanken, die Grenzen überwinden, symbolisiert, was ja bedeutet: Wir können diese Gedanken einfangen (bewirken, dass sie aufgeschrieben werden) und sogar lenken. Die Gedanken des Dichters kristallisieren sich um und nur durch die Frau, mit der er kommuniziert, ohne sie ist er tot, ohne SIE ist sein Werk wie ein Samenkorn ohne Wasser.

Wenn OVID auch den Männern zärtliche Verse vor-geschrieben hat, hat er sie eher den Frauen vorgetragen. Das war dann seine Art, zu „balzen“, nicht aber automatisch: Zu verführen. Zur Rolle der Muse gehört es ja nicht unbedingt, sich verführen zu lassen, anders gesagt: Ich bin keine Nymphe, die sich beim geringsten eindeutigen Signal hingibt und keinen Halt mehr kennt: Weil zum „Liebesspiel“ auch das Vorspiel gehört – nicht unbedingt zum Vorspiel auch der Akt., kann ich gern mutwillige Liebesspiele betreiben und mich dabei liebenswert nennen lassen.

Von „Seduction“ und und „persuation“ ist ständig die Rede bei den amerikanischen Romanisten; Verführung. Überredungskunst und Beeinflussung sei der Inhalt der „Liebeskunst“, und darauf wird OVID reduziert. Reduziert im Sinne von „ausgesiebt“, nicht von konzentriert, denn OVID lehrt nicht die Verführung à la Casanova, der in  Marcolinens, der betrogenen, ungalant eroberten „Geliebten“  Blick nicht lesen konnte,

„… was er tausendmal lieber darin gelesen: Dieb – Wüstling – Schurke –; er las nur dies eine –, das ihn schmachvoller zu Boden schlug als alle andern Beschimpfungen vermocht hätten – er las das Wort, das ihm von allen das furchtbarste war, da es sein endgültiges Urteil sprach: Alter Mann.“  (Schnitzler, Arthur, web, o.J.)

Zu solcher „Hidden persuation“, „geheimen Verführung“ rät OVID, soweit ich es überblicken kann, an keiner Stelle.

Sicher werden auch Fragen von Gewalt besprochen, und auf die  „Herstellung“ der weiblichen Reize bis hin zur Camouflage wird eingegangen, aber das sind zeitlose Klassiker. Bis auf Weiteres halte ich es für denkbar, dass OVID tatsächlich an der Gleichberechtigung von Frauen und Männern lag: „Es wäre unbillig, wenn sie (die Frauen) nackt mit Bewaffneten kämpfen müssten“ (ARS 3,5).  Sicher. „Wie entwaffne ich einen Mann?“ ist jetzt aber auch nicht gerade mein Problem.

Weiterlesen – nächste Folge:

Ich will keinen Casanova

— Hinweis: —

Zur Übersicht: Die Liebeskunst für Frauen nach OVID in der Interpretation von Leilah

 

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