Ich will keinen Casanova

Liebe Freundinnen,

Casanova, um auf diese Figur noch einmal zurückzukommen, hatte ja primär das Bedürfnis, die Frauen zu erobern; danach musste er wieder eine andere beschlafen, und was einmal gewesen war, interessierte nur noch, um in den Memoiren eine weitere Episode abzugeben. Ob das jetzt suchtartig zu nennen ist, oder narzisstisch?  Jedenfalls nicht die Methode, die OVID gelehrt hatte, denn „das Mädchen finden, es erobern, und es halten“ wird den Latein-Schülern eingepaukt, und doch fürchtet so mancher Pauker, sittlichen Verderb zu fördern, wenn die Liebeskunst auf dem Stundenplan steht. 1861 zitierte Lindemann, ein OVID-Übersetzer, Lessing und sein Bedenken, dass

„… er bei denen, die ihn nicht zurecht zu lesen wüßten, ein Verleiter zu den unsaubersten Ausschweifungen werde; Ovid lehre die Wollust, jene sinnliche, die ohne Zärtlichkeit des Herzens vom Genusse zum Genusse schweife und selbst in dem Genusse schmachte: so ist dies zwar von dem Standpunkte unserer jetzigen sittlichen Bildung aus richtig, und es könnte das Lesen dieses und der übrigen Gedichte gleichen Inhalts unreife junge Leute, die keinen sittlichen Halt hätten, möglicherweise zu solchen unsauberen Ausschweifungen verleiten.“

Heutzutage haben solche Bedenken sich erübrigt, denn plakative Darstellungen von „Ausschweifungen“ tragen die Kids heute längst im Handy gespeichert. Die Herren Altphilologen sind – zum Teil (?) doch recht betriebsblind:

„Wer wird überhaupt ernstlich glauben, daß sich die Kunst zu lieben in der jetzigen edleren Bedeutung des Wortes lehren lasse?“ (ders., aaO.)

Ich weiß ja nicht, welche edle Bedeutung das Wort „Liebe“ um 1861 hatte. Aber hatte nicht OVID selbst gesagt, dass Jeder, Jede seine, ihre eigenen Erfahrungen machen müsse? Und doch gibt es immer wieder Abhandlungen über die Liebe, Berichte von unglücklicher Liebe, Liebesgeschichten und  –Romane. Der Woll-Lüstling, wie Schnitzler ihn schildert, ist ausdrücklich eine pure Erfindung, ein Produkt seiner Phantasie, eine Projektion: Er schildert eigene Anteile, mit denen die Romanfigur ausgestattet und anschließend bloßgestellt wird; die Angst, vom jungen Mädchen als „alter Mann“ disqualifiziert zu werden, ist ja wohl deutlich genug geworden: Ein Problem der Männer, das in den Abschnitten für die Männer den ihm gebührenden Raum eingeräumt bekommt: Drei Zeilen.

Ganz zu vergessen den Wunsch wirst du genöthigt dich sehn.
Oder erfreut dich vielleicht das späte und weisere Alter:
Das auch, glaube mir, wird’s geben in reichlichem Maß (ARS 1/63 ff)

Ich lese das jedenfalls als Absage an den Jugendwahn, den hat es wohl schon immer gegeben, gerade bei den Männern, denen die Frauen nie jung genug sein können, aus Statusgründen. Nein, von wesentlich jüngeren Männern hab’ ich noch nie geträumt – von wirklich potenten, erfahrenen Liebhabern – das ja. Der vierzigjährige, erfolgreiche Arzt mit Porsche und Chalet – diese Klischees halt. Oder der introvertierte, sensible und bedürftige Extremkletterer, der sich unsterblich in mich verliebt und nach Australien auswandern will, wenn ich ihn nicht erhöre. Der hat jetzt eine erfolgreiche Kletterschule, und ich schau’ manchmal auf seiner Homepage, ob es Neuigkeiten gibt. Das war aber nur einmal, und sittsam und tugendhaft, natürlich mit Kondom. Als „für immer“ konnte er dieses „einmal ist keinmal“ ja nun wirklich nicht gelten lassen – ich glaub’ der wollte sowieso etwas Neues anfangen.

Die meisten Ehemänner würden den einmaligen Seitensprung ja auch verzeihen, weil es sie aber trotzdem verstört, sind wir halt diskret bei der Sache, und schauen diskret über so manches hinweg, womit sie sich beschäftigen.

Oder wir sorgen dafür, dass sie angemessen beschäftigt sind. Mutwillig Liebesspiele mit dem eigenen Mann zu treiben – warum nicht? „Warum eigentlich nicht?“ wäre aber für Einige von Euch, die ihrem Macker im Bedarfsfalle mehr oder weniger passiv zur Verfügung stehen, die korrektere Frage, denn oft ist mit der ersten Verliebtheit auch die Lust, das Verlangen entschwunden. „Was soll ich auch machen, seit die Tochter auf der Welt ist, hat er nur noch Augen für sie!“ „Ach, das sind doch wohl kleinere Probleme“, hab’ ich neulich meiner Freundin Angelika, die sich da so beklagt hatte, gesagt. „Wenn er ein Casanova wäre und ständig auf der Jagd nach anderen Weibern, das wäre wohl schlimmer. Wann hast du denn zum letzten Mal deine Reize ins Spiel gebracht?“

Angelika verstand mich nicht. Dass Claudia ihr ein Buch „Männer verzaubern – die Magie der weiblichen Verführung“ geschenkt hatte, hatte sie ja zur Kenntnis genommen, aber nichts davon umgesetzt. „Vanille-Moschusduft auf dem Kopfkissen, Weihrauch im Slip und Rosenblätter im Badewasser – also für mich ist das Nichts“ meinte sie. Ein gemeinsames Bad bei Kerzenschein war wegen Beider Leibesfülle auch nicht mehr vorstellbar. Ich sage nur: „Und so weiter…“

Angelika träumt von einem Piloten mit Jaguar. Der muss Uniform tragen, darf graue Haare haben, muss braun gebrannte Haut haben, und am Schönsten ist es, wenn er sie zur Begrüßung innig in den Arm nimmt, dann sagt sie: „Endlich habe ich es geschafft, Bei Dir zu sein.“ Die meisten ihrer Freundinnen sind erklärte Singles oder abstinente Gattinnen ohne sexuelle Interessen, deren Gatte zwar impotent ist, aber nicht darunter leidet. Getrennte Schlafzimmer sind ja manchmal die Vorstufe der Trennung, ein Knacks findet sich in den meisten Beziehungen, wenn der nicht geschient wird, lahmt sie.

Angelika weiß, dass ihr Macker Sex-pics sammelt, und findet das eher harmlos. Als ich sie gefragt habe, ob das nicht letztlich bedeutet, dass er sich nach tausend anderen Frauen, die sich  freizügig geben, sehnt, er also unter der Oberfläche ein Möchtegern-Casanova sei, hat sie erst einen Hustenanfall bekommen und dann große Augen gemacht. „Ach, die Männer sind doch alle gleich, und ich erwarte ja auch nichts von ihm, es gibt Wichtigeres als Sex.“

„Sicher, es gibt auch Wichtigeres als das Leben, und Dinge, die ähnlich wichtig sind wie Sex: Golf spielen, ein guter Lippenstift, ein gutes Buch, Rinderrouladen…“ Ich weiß ja, wie gerne sie die isst – wohl eine Kindheitserinnerung. Ich kann das doch nachvollziehen.

Aber als ich meinen Macker mal beim Porno-Schauen „erwischt“ habe, haben wir das ausdiskutiert. Anders gesagt: Ich hab’ das ausgemerzt und den ganz tiefen Blick in sein Triebleben gewagt, unerbittlich und zartfühlend. Er hat keine wesentlichen Geheimnisse vor mir, das ist vorbei, und er liebt und respektiert mich, kennt seine Aufgaben und Pflichten und hat noch gewisse Freiheiten.

Wie war das im Lied von Trude Herr? Ich will keine Schokolade, ich will lieber einen Mann. So geht es mir. Ich will keinen Casanova, der real oder im Geist anderswo ist, ich will einen Mann: Mindestens. Mit all ihren Stärken und Schwächen.

Weiterlesen – nächste Folge:

Erotische Phantasie – die Mutter der Philosophie

— Hinweis: —

Zur Übersicht: Die Liebeskunst für Frauen nach OVID in der Interpretation von Leilah

 

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